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"Istanbul, 112x140cm, öl/ leinwand, 2013"
Von Umsturzversuchen und grünen Oasen
Sieben Fragen an Anke Schima zu ihrem Bild "Istanbul" (2013), das bei ihrem Aufenthalt in Istanbul vom August bis Oktober 2013 - als die Auseinandersetzungen um den Taksim-Platz andauerten - entstanden ist.
Was hat dich zu dem Bild inspiriert?
Die Allgegenwärtigkeit der Stadt und die Unmöglichkeit ihr zu entkommen.
Handelt es sich um einen realen Ort?
Nicht direkt. Aber mich hat der Haydarpaşa Bahnhof in Kadıköy dazu inspiriert. Das ist der zweitgrößte Reiseknotenpunkt der Stadt gewesen –seit 1908 sind Züge von dort aus nach Anatolien, Syrien, Iran und in den Irak gefahren. Seit 2012 verkehren keine Züge mehr. Der Bahnhof ist ein verlassener Ort geworden, in dem nur noch verlorengegangene Touristen ein- und ausgehen. Dieser Bahnhof könnte für ein grundlegendes Gefühl in Istanbul stehen, das irgendwie an vielen Orten da ist – die Präsenz von alten Dingen, die überflüssig geworden sind –aber trotzdem noch das Stadtbild bestimmen. Eine Art "Aura der Dinge".
Was hat es mit dem eingezäunten Rasenstück auf sich?
Neben dem Bahnhof kann man ein ähnliches Stück Wiese finden, wie es auf dem Bild zu sehen ist. Es hat die gleichen Eigenschaften wie der Bahnhof: es ist eingezäunt, hatte mal eine ganz andere Aufgabe und es sind keine Menschen dort. Ich habe es gesehen und nicht vergessen können. Tagelang war ich begeistert von dem Grün und von der Seichtigkeit, mit der die Halme dem Wind gefolgt sind. Ich glaube es war eine Art Entzugserscheinung von Gras und grünen Wiesen. Erst da habe ich gemerkt, wie sehr mir das Grün fehlt und für mich selbstverständlich war. Aber eben nicht unbedingt in eingezäunter Form. Aber klar - sonst wäre es wahrscheinlich nicht so grün.
Die Szene ist menschenleer. Das ist ungewöhnlich für deine Arbeiten, warum tauchen hier keine Menschen auf?
Ein geheimes Wunschdenken in Istanbul war immer alleine zu sein, weil man es nie ist –man ist immer umgeben von eine enormen Masse an Menschen, Autos und Geräuschen. Es gibt keine nennenswerten Rückzugsräume. Es wäre schön, in der Gasse neben dem Gras alleine auf einem Plastestuhl zu sitzen und nichts zu hören.
Man könnte das Bild als Hinweis auf die schützenswerte Natur lesen. Hast du dich mal mit den Murals, der Tradition der agitatorischen Wandzeichnungen, beschäftigt?
Nein, aber in Gesprächen über meine Arbeiten werden oft die Maler der Naiven Malerei zitiert und ich habe nichts dagegen.
Die umgestürzten Plastikstühle könnten Zeugen einer Auseinandersetzung auf der Straße gewesen sein?
Die Plastikstühle sind eher ein Zeichen der Gleichgültigkeit der Istanbuler Einwohner. Es ist ihnen egal wo was rumliegt. Müll wird einfach da gelassen, wo er anfällt. Auf jeden Fall ein furchtbarer Anblick. Bei mir hat der Anblick der Strände gereicht, um bei jeder Plastikwasserflasche, die ich gekauft habe, ein schlechtes Gewissen zu bekommen.
Hast du in deiner Zeit was von den Protesten auf dem Taksim-Platz mitbekommen?
Ich war von August bis Oktober 2013 in Istanbul und habe in Ortaköy gewohnt, was mit dem Bus durch den normalen Alltagsstau ca.1 Stunde vom Taksim-Platz entfernt war, zu Fuß waren es ca. 30 Minuten. In Ortaköy selber hat man tatsächlich nichts mitbekommen von den Auseinandersetzungen. Wenn ich mich mit unseren Nachbarn unterhalten habe, war ich in Bezug auf Politik sehr zurückhaltend, da ich den typischen westlichen Fehler vermeiden wollte, besser zu wissen als die Menschen vor Ort, was deren Probleme sind. Aber viele waren der Meinung, es würde sich um durchgeknallte Studenten handeln. Wenn man etwas mitbekommen hat, dann durchs Fernsehen oder durch die Atmosphäre der Stadt und die Gespräche mit den Menschen. Da ich großen Respekt vor der Gewaltbereitschaft der türkischen Polizei habe, bin ich den Auseinandersetzungen auf dem Taksim-Platz bewusst aus dem Weg gegangen.
Wenn es Auseinandersetzungen gab, haben am nächsten Morgen nur die Wasserwerfer, die noch in den Seitengassen standen, an die Unruhen erinnert. Denn der Taksim-Platz oder auch die angrenzende Istiklar Strasse ist ein Anzugspunkt für Touristen. Da war es wichtig, dass die Istiklar schnell wieder ihr gewohntes open-minded Hollywood-Gesicht aufsetzen konnte. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass der Taksim-Platz im Moment der nicht friedlichen Auseinandersetzung kein Ort für Touristen ist, die der Sprache nur geringfügig mächtig sind. Aus meiner Sicht heraus handelt es sich nicht um eine Studentenrevolution – eher eine Protestwelle der gebildeten Bürgerschaft aus Istanbul. Aber es ist allen bewusst, dass die Stimmen der anatolischen Bauern einen größeren Einfluss haben als die der Intellektuellen in Istanbul. Eine traurige Gewissheit.
Interview: Anna-Lena Wenzel / Bild: Anke Schima
Erschienen auf: 99% Urban, 3/2014, http://www.99prozenturban.de/von-umsturzversuchen-und-gr%C3%BCnen-oasen)
Sieben Fragen an Anke Schima zu ihrem Bild "Istanbul" (2013), das bei ihrem Aufenthalt in Istanbul vom August bis Oktober 2013 - als die Auseinandersetzungen um den Taksim-Platz andauerten - entstanden ist.
Was hat dich zu dem Bild inspiriert?
Die Allgegenwärtigkeit der Stadt und die Unmöglichkeit ihr zu entkommen.
Handelt es sich um einen realen Ort?
Nicht direkt. Aber mich hat der Haydarpaşa Bahnhof in Kadıköy dazu inspiriert. Das ist der zweitgrößte Reiseknotenpunkt der Stadt gewesen –seit 1908 sind Züge von dort aus nach Anatolien, Syrien, Iran und in den Irak gefahren. Seit 2012 verkehren keine Züge mehr. Der Bahnhof ist ein verlassener Ort geworden, in dem nur noch verlorengegangene Touristen ein- und ausgehen. Dieser Bahnhof könnte für ein grundlegendes Gefühl in Istanbul stehen, das irgendwie an vielen Orten da ist – die Präsenz von alten Dingen, die überflüssig geworden sind –aber trotzdem noch das Stadtbild bestimmen. Eine Art "Aura der Dinge".
Was hat es mit dem eingezäunten Rasenstück auf sich?
Neben dem Bahnhof kann man ein ähnliches Stück Wiese finden, wie es auf dem Bild zu sehen ist. Es hat die gleichen Eigenschaften wie der Bahnhof: es ist eingezäunt, hatte mal eine ganz andere Aufgabe und es sind keine Menschen dort. Ich habe es gesehen und nicht vergessen können. Tagelang war ich begeistert von dem Grün und von der Seichtigkeit, mit der die Halme dem Wind gefolgt sind. Ich glaube es war eine Art Entzugserscheinung von Gras und grünen Wiesen. Erst da habe ich gemerkt, wie sehr mir das Grün fehlt und für mich selbstverständlich war. Aber eben nicht unbedingt in eingezäunter Form. Aber klar - sonst wäre es wahrscheinlich nicht so grün.
Die Szene ist menschenleer. Das ist ungewöhnlich für deine Arbeiten, warum tauchen hier keine Menschen auf?
Ein geheimes Wunschdenken in Istanbul war immer alleine zu sein, weil man es nie ist –man ist immer umgeben von eine enormen Masse an Menschen, Autos und Geräuschen. Es gibt keine nennenswerten Rückzugsräume. Es wäre schön, in der Gasse neben dem Gras alleine auf einem Plastestuhl zu sitzen und nichts zu hören.
Man könnte das Bild als Hinweis auf die schützenswerte Natur lesen. Hast du dich mal mit den Murals, der Tradition der agitatorischen Wandzeichnungen, beschäftigt?
Nein, aber in Gesprächen über meine Arbeiten werden oft die Maler der Naiven Malerei zitiert und ich habe nichts dagegen.
Die umgestürzten Plastikstühle könnten Zeugen einer Auseinandersetzung auf der Straße gewesen sein?
Die Plastikstühle sind eher ein Zeichen der Gleichgültigkeit der Istanbuler Einwohner. Es ist ihnen egal wo was rumliegt. Müll wird einfach da gelassen, wo er anfällt. Auf jeden Fall ein furchtbarer Anblick. Bei mir hat der Anblick der Strände gereicht, um bei jeder Plastikwasserflasche, die ich gekauft habe, ein schlechtes Gewissen zu bekommen.
Hast du in deiner Zeit was von den Protesten auf dem Taksim-Platz mitbekommen?
Ich war von August bis Oktober 2013 in Istanbul und habe in Ortaköy gewohnt, was mit dem Bus durch den normalen Alltagsstau ca.1 Stunde vom Taksim-Platz entfernt war, zu Fuß waren es ca. 30 Minuten. In Ortaköy selber hat man tatsächlich nichts mitbekommen von den Auseinandersetzungen. Wenn ich mich mit unseren Nachbarn unterhalten habe, war ich in Bezug auf Politik sehr zurückhaltend, da ich den typischen westlichen Fehler vermeiden wollte, besser zu wissen als die Menschen vor Ort, was deren Probleme sind. Aber viele waren der Meinung, es würde sich um durchgeknallte Studenten handeln. Wenn man etwas mitbekommen hat, dann durchs Fernsehen oder durch die Atmosphäre der Stadt und die Gespräche mit den Menschen. Da ich großen Respekt vor der Gewaltbereitschaft der türkischen Polizei habe, bin ich den Auseinandersetzungen auf dem Taksim-Platz bewusst aus dem Weg gegangen.
Wenn es Auseinandersetzungen gab, haben am nächsten Morgen nur die Wasserwerfer, die noch in den Seitengassen standen, an die Unruhen erinnert. Denn der Taksim-Platz oder auch die angrenzende Istiklar Strasse ist ein Anzugspunkt für Touristen. Da war es wichtig, dass die Istiklar schnell wieder ihr gewohntes open-minded Hollywood-Gesicht aufsetzen konnte. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass der Taksim-Platz im Moment der nicht friedlichen Auseinandersetzung kein Ort für Touristen ist, die der Sprache nur geringfügig mächtig sind. Aus meiner Sicht heraus handelt es sich nicht um eine Studentenrevolution – eher eine Protestwelle der gebildeten Bürgerschaft aus Istanbul. Aber es ist allen bewusst, dass die Stimmen der anatolischen Bauern einen größeren Einfluss haben als die der Intellektuellen in Istanbul. Eine traurige Gewissheit.
Interview: Anna-Lena Wenzel / Bild: Anke Schima
Erschienen auf: 99% Urban, 3/2014, http://www.99prozenturban.de/von-umsturzversuchen-und-gr%C3%BCnen-oasen)